Kai Kabs-Ballbach: "Das Wichtigste gleich vorab: Vielfalt ist ein klarer Gewinn für alle Menschen. Sie schafft diskriminierungs- und gewaltfreie Räume und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten. Vielfalt bedeutet Freiheit! Gleichzeitig fordert sie jedoch Offenheit und die Anerkennung durch mein Gegenüber sowie aller beteiligten Personen ein. Anerkennung (vgl. Honneth, 2010) ist in diesem Kontext nicht nur als moralisches Prinzip zu verstehen, sondern als grundlegende Bedingung menschlicher Identität, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Vielfalt tut niemandem weh, ist gewaltfrei und ungefährlich.
Die Ablehnung vielfaltiger Lebensentwürfe ist hingegen willkürlich, diskriminierend und menschenverachtend. Das binare Geschlechtersystem weist den beiden Geschlechtern traditionelle Rollen mit zugeschriebenen und stark einengenden Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu.
Auch wenn sich gesellschaftlich eine Öffnung deutlich abzeichnet und von vielen Menschen positiv aufgenommen wird, stellen Traditionalist*innen und die Neue Rechte diese Entwicklung in Richtung Vielfalt infrage. Queere Personen – als Teil von Vielfalt – lassen sich nicht in das reduzierte binare Geschlechtersystem einordnen. Sie erweitern dieses System hin zu mehr Diversität. Die den Geschlechtern im binaren System oft zugeschriebenen Eigenschaften sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten sind weder genetisch festgelegt noch biologisch nahegelegt. Dies ist sowohl naturwissenschaftlich (insbesondere neurobiologisch) als auch geisteswissenschaftlich weithin anerkannt. Und doch wirken geschlechterbezogene Zuschreibungen weiterhin in unseren Köpfen. Dadurch werden gesellschaftliche Zuweisungen und Stereotypen aufrechterhalten, die wiederum Geschlechterkonstruktionen festigen und letztlich stereotypes geschlechterbezogenes Handeln reproduzieren „Zum Beispiel erfolgen durch neurowissenschaftliche Studien, die Geschlechterdifferenzen (unter-)suchen, deterministische Zuschreibungen von vermeintlich natürlichen Grundlagen im Gehirn als verschiedene Fähigkeiten bei Frauen und Männern, die dann als universell gelten. Ihre Ergebnisse entsprechen oftmals Geschlechterstereotypen, wenn sie zum Beispiel Annahmen einer sprachlichen Überlegenheit aller Frauen oder einer besseren mathematischen Befähigung jedes Mannes reproduzieren.“ (Lisa Krall, 2023, S. 18 ff.)
Um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, entwickelt die Pädagogik geschlechter- und diversitätsbezogen offene Ansätze, die Vielfalt in der Praxis umsetzen. Dies bietet die Chance, die Erfahrung zu machen, dass Eigenschaften sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht vom jeweiligen Geschlecht, sondern von den Interessen der Person, vom individuellen Entwicklungsstand sowie von den verfügbaren Bildungsgängen abhängen. So wird auch die geschlechterbezogene Berufswahl durch gesellschaftliche, kulturelle und individuelle Faktoren beeinflusst und gesteuert. Im Laufe der Geschichte haben sich die geschlechterbezogenen Zuschreibungen und Rollenbilder sowie die gesellschaftlichen Erwartungen an die Berufswahl stark verändert – was zu einer zunehmenden Diversifizierung der Entscheidungen und somit zu größerer individueller Entscheidungsfreiheit geführt hat."
(aus: Fachzeitschrift Offene Jugendarbeit. Praxis – Konzepte – Jugendpolitik 02/2025, Beitrag von Kai Kabs-Ballbach: Männlichkeiten 2.1:„My actions count. Every day! S. 8-9)
Zum aktuellen Heft der OKJA-Zeitschrift mit dem Thema: Jungen*arbeit
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